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Beleuchtung
im Wandel der Zeit
Unsere Einstellung zur Beleuchtung im
Wandel der Zeite
„Wo Licht totalitär wird wie in den Metropolen der Moderne,
da herrscht in der Tat Lichtverschmutzung.“ Dieser Satz
stand 2002 in der renommierten deutschen Wochen­
zeitung „Die Zeit“ zu lesen. Er wurde nicht etwa von einem
Astronomen oder von einem engagierten Umweltaktivisten
geschrieben, sondern – von einem Philosophen. Was kann
dieser gemeint haben? Was soll heißen „totalitäres“ Licht?
Gerade in Deutschland erinnert man sich daran, dass
während der Herrschaft des Nationalsozialismus Licht zur
Untermauerung und zur breitenwirksamen Inszenierung
eines buchstäblich totalitären Machtanspruchs verwen-
det wurde. „Das Licht lässt sich in den Dienst der Macht
stellen, seine Helligkeit blendet“: So kommentiert Joa-
chim Schlör in seinem Buch „Nachts in der großen Stadt“
eine Aufnahme der hell erleuchteten Berliner Prachtstraße
Unter den Linden aus dem Jahr 1936. Schlör nennt die
„Eroberung der Nacht“ als ein Ziel national­sozialistischer
Politik;
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er weist jedoch auch nachdrücklich darauf hin,
dass schon zwischen 1900 und 1930 unter den europä-
ischen Städten ein „regelrechter Wettbewerb um den
Ehrentitel ‚Lichtstadt’“ ausgebrochen war.
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Während
traditionell Paris den Anspruch erhob, die „ville lumière“
Europas zu sein, wollte auch Berlin keineswegs zurück-
stehen und feierte Mitte Oktober 1928 die Illuminations-
Aktion „Berlin im Licht“.
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Unterdessen war auch in Wien
die Beleuchtung der Ringstraße in einer Weise „glänzend“
erneuert worden, dass der Astronom Johann Palisa bei
seinen Beobachtungen an der Wiener Universitätsstern-
warte eine deutliche Himmelsaufhellung und dadurch
eine Abnahme der Leistungsfähigkeit seiner Teleskope
konstatieren musste.
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Ein Menschenrecht auf Dunkelheit?
Der eingangs zitierte Artikel endet mit dem lapidaren
Satz: „Es gibt ein Menschenrecht auf Dunkelheit wie auf
Stille.“ Bezüglich der Stille hat sich diese Erkenntnis längst
durchgesetzt: Die Abwesenheit von Lärm ist zum Beispiel
auf dem heutigen Wohnungsmarkt ein fest etabliertes
Qualitätskriterium. Bezüglich der Dunkelheit sieht die
Sache noch ganz anders aus. Tief ist im Menschen die Angst
vor der Abwesenheit des Lichts verankert. Sie sitzt uns,
wie es scheint, ganz fest in den Knochen. Ein italienisches
Sprichwort sagt: „In der Nacht ist jede Katze ein Leopard.“
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Dies drückt sehr anschaulich das allgemeine Empfinden
aus, wonach Dunkelheit gefährlich, ja, vielleicht gar das
Element des Bösen sei. Dass dem Menschen auch durch ein
Zuviel an Licht Gefahren drohen können, ist eine relativ
neue Erkenntnis. Sie kam in den letzten 10 Jahren vor allem
dadurch zutage, dass Mediziner zu neuen Erkenntnissen
über den Zusammenhang zwischen künstlichem Licht und
der Produktion bestimmter Hormone kamen. Noch in den
1980er-Jahren gingen amerikanische Forscher davon aus,
dass sehr hohe Beleuchtungsstärken (technisch: etwa
2.500 Lux) notwendig wären, um die Hormonproduktion im
Organismus signifikant zu beeinflussen. Heute weiß man,
dass mit Sicherheit bei vielen Tieren, höchstwahrscheinlich
aber auch beim Menschen, schon geringe Lichtmengen
(wenige Lux) genügen können, um den Tag-Nacht-Rhythmus
empfindlich zu stören.
Bahnt sich ein Umdenken an?
Als vor über 125 Jahren die großen Städte Europas mit
elektrischer Beleuchtung ausgestattet wurden, feierte man
dies als große kulturelle Errungenschaft. Die Dunkelheit
trat ihren Rückzug an. Heute muss man in Europa oft weiter
reisen, wenn man eine dunkle Nachtlandschaft und einen
„unverschmutzten“ Sternenhimmel erleben, als wenn man
sauberes Wasser aus einer Quelle trinken will.
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Haben wir nun wenigstens mit der nächtlichen Beleuchtung
die Kriminalität aus unseren Städten vertrieben, wie dies
eine Werbegrafik schon zu Anfang des 20. Jahrhunderts
suggerierte?
Wohl kaum. Studien aus Großbritannien zeigen vielmehr,
dass es keinen verallgemeinernden Zusammenhang
zwischen Beleuchtungsintensität und Verbrechensrate
gibt.
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Nicht selten erleichtert Beleuchtung sogar
Einbrüche und Vandalismus-Delikte.
Fazit
Betrachtet man das Licht – sowohl das natürliche (Tages-
licht) wie das künstliche – in kulturhistorischer Perspektive,
so kann man von einem Prozess fortschrei­tender „Entzau-
berung“ sprechen. Bevor die Menschen künstliches Licht
überhaupt in kontrollierter Weise einzusetzen vermoch-
ten, war die Verehrung vor allem des Sonnenlichts als ein
gleichsam göttliches Phänomen weit verbreitet.
Die Dunkelheit war vorwiegend mit negativen Assozia­­-
tionen besetzt, bis hin zur Dunkelheit als Sinnbild des
Bösen. Mit dem Siegeszug der elektrischen Beleuchtung
ging eine Erschließung – bis hin zur „Eroberung“ – der
Nacht durch die Zivilisation einher. Licht wurde zu etwas
Steuerbarem, zugleich aber auch zu etwas Steuerndem:
Durch die Präsenz des Lichts wurde in bisher nicht
nutzbaren nächtlichen (Zeit-)Räumen Arbeit, Verkehr,
Geselligkeit und Konsum möglich. So ist es bis heute
geblieben, und nach diesem Muster wird immer weiter in die
Nacht hinein „expandiert“.
Doch vermutlich stehen wir derzeit an der Schwelle zu einer
dritten Phase der Beziehung zwischen Mensch und Licht:
Der Versuch, durch Licht die Nacht zu erobern (und dadurch
nur Vorteile haben zu wollen) stößt an seine Grenzen.
Die Wendung „wo Licht totalitär wird…“ lässt viele mögli-
che Fortsetzungen zu, so etwa: „…da rückt der sorgsame
Umgang mit Beleuchtung ins Zentrum der Aufmerksamkeit“.
Ob diese Variante oder eine andere zur Realität wird, hängt
von uns allen ab.
DDr. Thomas Posch
Werbegrafik aus dem Jahr 1925.
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